
Sehen statt Hören
Infomagazin
Er ist einer der ersten selbstständigen Gehörlosen in Deutschland, als er das Geschäft des Vaters übernimmt. Für den Vater war es rückblickend die beste Entscheidung seines Lebens. Doch auf den Sohn, der als Gehörloser in die Fußstapfen des Vaters treten soll, warten besondere Herausforderungen. Herausforderungen, die auch schon in der Kindheit gemeistert werden mussten. Der Weg zur Gebärdensprache und damit auch der Weg zur eigenen Identität war nicht einfach. Erst als Ralf Brauns vier Jahre alt ist, wird seine Hörschädigung entdeckt. Da er aber noch ein Restgehör hat, besucht er einen Kindergarten mit hörenden Kindern. Auch nach der Einschulung ist er mit normal hörenden Kindern zusammen. Doch nach nur einem Jahr wird klar: Das funktioniert nicht, als einziger Gehörloser unter Hörenden und einer Lehrerin, die ebenfalls mit dieser Situation überfordert ist. Der Junge wechelt zur Schwerhörigenschule in Bad Camberg. 70 Kilometer täglich zu pendeln ist nicht möglich, also wird er in eine Pflegefamilie vermittelt. Heimweh plagt ihn, auch weil er in seinem neuen Zuhause nicht kommunizieren kann. "Es gab kein schönes Miteinander, wie es in einer Familie üblich ist. Ich wurde in der Familie einfach nur geduldet. Ich war für die einfach nur ein Schüler und ein Pflegekind." Bergauf geht es für den Schüler Ralf, als er zur Gehörlosenschule nach Friedberg in Hessen wechselt. Auch zwei der Erzieherinnen dort werden zu engen Bezugspersonen für Ralf Brauns, zu denen er sich noch heute verbunden fühlt. Ralf findet seinen Weg in die Welt der Gehörlosen. Er entdeckt seine Leidenschaft zum Theater, wird Teil der gebärdensprachlichen Theatergruppe "Trio-Art", die beim ersten DEGETH-Festival gewinnt. Auch er selbst wird ausgezeichnet: Mit dem Preis für den besten Schauspieler. Andreas Müller-Bothmann, ein weiteres Gründungsmitglied von "Trio-Art" erinnert sich ebenfalls gern an die Anfänge. Der Dritte im Bunde: Tom Bierschneider. Er hat vor allem auch ein Händchen für die Regie. Die Gruppe hat eine großartige Zeit, ist erfolgreich, vergrößert sich. Bis zu jenem Winterurlaub. Als Tom ganz plötzlich verstirbt. Beruflich hat das Leben für Ralf Brauns ebenfalls Herausforderungen bereit: Nach seiner Schulzeit hadert Ralf zunächst, ob er wirklich Orthopädietechniker werden soll. Erst ein Praktikum bei einem Zahtechniker zeigt ihm: Ja, er wird dem Weg seines Vaters folgen. Der nämlich hat ein Sanitätshaus, in dem maßgefertigte Schuheinlagen, Prothesen und Orthesen angeboten werden. Ralf Brauns absolviert in einem anderen Unternehmen eine Ausbildung, kehrt nach zehn Jahren zurück in das Geschäft seines Vaters, macht seinen Meisterbrief. Kurz darauf wird sein Vater krank, so dass Ralf das Geschäft viel früher als gedacht übernehmen muss. Die Verantwortung für die Mitarbeitenden, die Kommunikation mit Kunden und Krankenhäusern, vor allem der lange Kampf um Unterstützung vom Integrationsamt: Der Anfang ist alles andere als einfach. Letztlich schafft es Ralf Brauns aber sogar, das Geschäft zu vergrößern. Seine Frau Betty arbeitet im Geschäft mit, sie haben eine gemeinsame Tochter, der Kontakt zu Ralfs Familie wie auch der Kontakt zu Bettys Familie ist herzlich. Doch auch im Privaten geht Ralfs Lebensweg nicht einfach nur gerade aus: Nach seinem Outing beginnt noch einmal ein neuer Lebensabschnitt. Im letzten gemeinsamen Urlaub mit seinen Eltern und Geschwistern wissen bereits alle: Der Abschied von ihrem Vater steht bevor. Ein Abschied, der dann aber doch plötzlich kommt. Beitrag von Holger Ruppert
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