

Zeuge der Zeit
Folge 4 | Menschen
Abba Naor wird am 2. Mai 1945 auf dem Todesmarsch bei Waakirchen in der Nähe des oberbayerischen Bad Tölz befreit. Er ist 13 als die Deutschen seine Heimat Litauen besetzen. Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941, zu der damals auch Litauen gehört, beginnt der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung, lange bevor "die Endlösung der Judenfrage" auf der Wannseekonferenz 1942 beschlossen wird. Abba Naor erlebt 1941 die Massenexekutionen in den Festungen der Stadt Kaunas aus der Perspektive eines Heranwachsenden, der im Ghetto angesichts der alltäglichen Bedrohung zum Freund seiner Eltern wird. Er versucht, seinen kleinen Bruder vor den Selektionen der Deutschen im Ghetto zu beschützen, wenn die Eltern nicht da sind. Doch als sie in das erste Konzentrationslager Stutthof bei Danzig verschleppt werden, muss er kurz darauf durch den Zaun zusehen, wie seine Mutter mit dem kleinen Bruder in einen Transport nach Auschwitz abgesondert wird. Es ist das letzte Mal, dass er sie sieht. Bis heute schmerzt ihn dieses Bild, wenn man mit ihm darüber spricht. In einem langen Interview über sein Leben in dieser Zeit beschreibt er eindrücklich seine furchtbaren Erlebnisse und wie groß nach der Befreiung der Wunsch war, ein "normaler" Mensch zu sein, und welche Fragen zum "Menschsein" ihn deshalb bis heute beschäftigen. Abba Naor arbeitete später für den Mossad und ist heute Nachfolger des jüdischen Überlebenden Max Mannheimer im internationalen Dachau-Komitee und damit eine wichtige Stimme der Überlebenden. Vor diesem Hintergrund hat es sich der Bayerische Rundfunk zur Aufgabe gemacht, das Zeugnis von Holocaust-Überlebenden zu dokumentieren und für künftige Generationen zu bewahren. Die Reihe "Zeuge der Zeit" spürt dem Schicksal von Menschen nach, die als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene den Terror des NS-Regimes erleiden mussten. Menschen wie Aba Lewit, der lange geschwiegen hat und mit 94 Jahren zum ersten Mal im deutschen Fernsehen Einblick in seine Überlebensstrategien in nationalsozialistischen Konzentrationslagern gewährt. "Ich habe die ganze Zeit nicht damit gerechnet zu überleben", sagt er rückblickend. "Es war ein Leben auf die Minute. Nicht auf den Tag. Auf die Minute." Fishel Rabinowicz schreibt es dem Glück zu, dass er den Holocaust überlebt hat, denn er war unter anderem in Autobahn-Baubrigaden eingeteilt, in denen die Sterblichkeitsraten der Häftlinge besonders hoch waren. "Ich hatte feuerrotes Haar, weshalb mich die Deutschen 'Rotkopf' nannten und mir leichtere Arbeiten als den anderen Gruppenmitgliedern gaben", erinnert er sich. Erst nach seiner Pensionierung fand Rabinowicz in der Malerei eine Möglichkeit, seine traumatische Lebensgeschichte aufzuarbeiten. Dennoch bleibt er – wie jeder einzelne Überlebende – psychisch von den Erfahrungen des Holocaust gezeichnet. Darüber, wie Verfolgung und Völkermord in der NS-Zeit ihr Leben geprägt haben, berichten außerdem die Zeitzeugen Esther Bejarano, Henry G. Brandt, Ruth Melcer, Mano Höllenreiner, Senek Rosenblum, Abba Naor, Max Volpert, Heinz Kounio und Ernst Grube.
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