Gleis 11
Menschen
Das Gleis 11 am Münchner Hauptbahnhof war der Ort in Deutschland, an dem ab Mitte der 50er Jahre viele Gastarbeiter:innen aus Südeuropa ankamen. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, ausländische Arbeitskräfte wurden dringend gebraucht. Auch aus der Türkei kamen in den 1960er und frühen 1970er Jahren abertausende Männer und Frauen in die alte Bundesrepublik. Geregelt wurde die Zuwanderung aus der Türkei über das Deutsch-türkische Anwerbeabkommen, das vor 60 Jahren unterzeichnet wurde. Die türkischen Gastarbeiter:innen wollten arbeiten, Geld verdienen und irgendwann zurück in die Heimat. Viele von ihnen blieben aber dann doch in Almanya. Fern der alten Heimat wurden sie Eltern und Großeltern und gemeinsam mit ihren Familien Teil eines Deutschlands, das sich durch ihre Migrationsgeschichte verändert hat. Der Dokumentarfilm "Gleis 11" des jungen Regisseurs Çağdaş Eren Yüksel (27) ist ein Porträt dieser ersten Einwanderergeneration. "Pioniere der ersten Stunde" nennt sie Yüksel respektvoll, der zur dritten Generation türkischer Einwanderer gehört. Sein Film verleiht der Großeltern-Generation eine Stimme, die in der deutschen Öffentlichkeit wenig zu Wort gekommen ist. Sieben Protagonist:innen berichten in Form einer Parallelmontage von ihren Träumen und Hoffnungen, vom Leben in der Bundesrepublik der 1960er und 1970er Jahre bis in die Gegenwart. Nezihat (79), die Großmutter des Filmemachers, wurde in Deutschland früh Witwe und brachte ihre Kinder mit einem kleinen Gemüseladen alleine durch. Osman (86) zog es aus dem Norden der Türkei unter Tage nach Essen. Zeynep (69) beschreibt die ersten Tage am Arbeitsplatz und den starken Zusammenhalt der Kolleg:innen. Eşref (82) und Ayşe (80) kamen 1971 und kehrten nach 49 Jahren zurück in die Heimat im Süden der Türkei. Exemplarisch öffnet "Gleis 11" auch den Blick auf andere Migrationserfahrungen: die Griechin Marina (76) erinnert sich an die lange Zugfahrt, mit der sie von Thessaloniki ins ferne Deutschland gelangte. Und der Süditaliener Bartolomeo (74) erzählt, wie er in Deutschland sein Lebensglück gefunden hat. Was bei diesen Lebenszeugnissen auffällt: das Durchhaltevermögen der ersten Einwanderergeneration und der starke Wille, den Widrigkeiten des Lebens auch im Rückblick mit einem unerschütterlichen Optimismus zu begegnen. "Gleis 11" ist beides, authentisches Zeugnis und filmisches Dokument einer bisher kaum erzählten Migrationsgeschichte, die sich aber längst in die Geschichte Deutschlands eingeschrieben und das Leben in diesem Land vielfältiger gemacht hat.
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