Der Henninger-Turm - Bau eines Wahrzeichens
Zeitgeschichte
Über vierzig Jahre ist es her, als Karin Reuter ihr Püppchen verlor. Auf dem Fenstersims des Drehrestaurants im Henninger-Turm hatte es gesessen. Einige Tische weiter fand sie das Püppchen zum Glück wieder. Heute als Erwachsene dokumentiert Karin Reuter, waschechte Sachsenhäuserin, den Bau des neuen Turms, in dessen Nachbarschaft sie aufgewachsen ist. Denn spätestens mit seinem Ende im Jahre 2012 wurde der Turm Kult. Viele Frankfurter trauerten um das eigenwillige Bauwerk, das bis 1974 nicht nur das höchste Gebäude Frankfurts war, sondern auch das höchste Getreidesilo der Welt mit Aussichtsrestaurant. Kaum ein Frankfurter, der nicht in seiner Kindheit wenigstens einmal darin gesessen und im Kreis gefahren ist. Bei atemberaubendem Blick über die Stadt kam man an den Worten „Römer“, „Paulskirche“ oder „Goetheturm“ vorbei, die am unteren Rand der Fensterscheiben klebten und dem Gast die Aussicht bezeichneten. Über all dem Abschiedsschmerz verloschen beim Ableben des Turms vor allem die weniger wehmütigen Erinnerungen. Der mit Bierfass gekrönte Bau war bei den Frankfurtern zum Zeitpunkt seiner Eröffnung 1961 umstritten. „Viel zu hoch, potthässlich, sieht aus wie ein Leichenfinger“, fanden viele. Erst das Radrennen „Rund um den Henninger-Turm“, eine intelligente Werbeidee, weckte Sympathien für das Bauwerk. Seine markante Form machte es im Laufe der Jahre zu einem Wahrzeichen der Stadt, nicht mehr wegzudenken aus der Silhouette der Frankfurter Skyline. Der Turm regte an zu Souvenirs wie Backförmchen, Kinderspielzeug oder Windlichtbausets. Doch weil er marode, voller Asbest und nicht für neue Zwecke nutzbar war, fiel im neuen Jahrtausend die Entscheidung: Der Turm muss weg. Auf spektakuläre Weise wird er mühsam abgetragen und entsorgt. Was aber soll stattdessen dort hin? Die Empörung über den Abriss lassen die Frankfurter einen Wettbewerb verfolgen, in dem sich deutschlandweit Architekturbüros an einem Nachfolgeturm versuchen. Es gewinnt ein gewagter Entwurf des Frankfurter Büros Meixner Schlüter Wendt: ein Bau, dessen Silhouette der des alten Turms zum Verwechseln ähnlich sieht. Das Frankfurter Büro Meixner Schlüter Wendt weiß, dass es sich so dem Vorwurf aussetzt, Altes einfach zu kopieren. Doch ihre Überzeugung wiegt schwerer: „An nahezu jeder anderen Stelle in der Stadt kann ein individuell gestaltetes Bauwerk entstehen. Aber an genau diesem Ort müssen wir das alte Wahrzeichen einbeziehen, um die Identität der Stadt zu wahren“, sagt Architektin Claudia Meixner. Während die neue Hülle der Form des alten Turms ähnelt, ist die Funktion im Inneren eine völlig andere. Ein Wohnturm mit luxuriösen Appartements soll entstehen - mit Aussichtsrestaurant und Aussichtsplattform in den obersten Stockwerken. Für die Architekten ist es ihr bisher größtes Projekt. Vier Jahre wird gebaut. Kann es gelingen, ein verschwundenes Wahrzeichen wiederzubeleben?
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